502
Xxiii. §. 8. Die Wiedertäufer.
Erfüllung der göttlichen Gebote, auch der altteftamentlichen forderten,
dort Andere, welche sich von jeder Befolgung der Gebote, auch von
der Feier des Sonntags völlig los und frei erachteten. Hier fordern
die Einen Gütergemeinschaft, dort lösen Andere die Ehe auf, oder west
gern Eid und Kriegsdienst — Alle aber kommen darin überein, daß
sie und nur sie die rechte Erleuchtung hatten, und zwar durch un-
mittelbar göttliche Eingebung. Von der Schweiz haben sie sich ver-
breitet durch ganz Oberdeutschland. Wir finden sie in Schwaben, in
Salzburg, in Mähren, in Schlesien, auch in Preußen und Thüringen.
Am gewaltigsten aber brachen sie sich Bahn in den Niederlanden.
Dort, wo das Evangelium auf das Grausamste verfolgt und unterdrückt
ward, brach der unklare Eifer in die schlimmsten Verirrungen, in die
thörichtsten Erwartungen irdischer Herrschaft und Glückseligkeit aus.
Von dort verpflanzte sich der wilde Fanatismus nach Münster, wo
er 1533—35 der erschrockenen Welt das Schauspiel gab, bis wohin
der sich selbst überhebende Menschengeist, der alle Zucht haßt, auch in
religiösen Dingen sich verirren kann, und welch furchtbaren Ausgang
solche Menschenfündlein nehmen.
In Münster hatte, wie in mehren der bedeutendsten Städte West-
phakens, die Reforination sich bereits einen Heerd gegründet. Rath und
Prediger der Stadt waren der neuen Lehre zugethan. Ihren Bischof
hatten sie ausgeschlossen, alle Widerstrebenden aus der Stadt gejagt.
Wir werden noch öfter sehen, daß solche gewaltsam — mit dem Schwert
— begonnenen Reformationen einen kläglichen Fortgang nehmen.
Der bedeutendste Prediger und Führer der Evangelischen in Münster:
Rottmann, der sich um so feuriger auf neue Dinge warf, je weniger
er gewillt war, sein Fleisch in strenge Zucht zu nehmen und seine Be-
gierden zu ertödten, hatte die wiedertäuferischen Lehren angenommen,
gepredigt und einzuführen gesucht. Zu seinem Beistand rief er die be-
rühmtesten wiedertäuferischen Propheten aus Holland herbei. Sie ka-
men, Jan Matthhs und Jan Bockelson (von Lepden) mit einer
großen Schaar Gleichgesinnter. Schnell geberdeten sie sich als die Her-
ren der Stadt. Der ruhigere und ehrbarere Theil der Bürgerschaft
wollte das nicht leiden. Es kam zum Kampf. Aber die Propheten
mit ihrem Anhang, die anfangs nur geschont waren, wurden bald über-
mächtig. Mitten im Winter, nackt und hülstos, jagten sie die ganze
gegnerische Partei — die Söhne Esau's — zur Stadt hinaus, und
nahmen ihr Erbe ein. Jetzt ward in Münster Alles durch Prophetenwort
geleitet. Durch neue prophetische Eingebung wurden Rathmänner und
Richter eingesetzt, wurden Apostel ausgesandt, wurden neue Gesetze ge-
geben, Gütergeineinschaft eingeführt, endlich auch Vielweiberei. Nur
Eins war noch übrig, daß einer der Propheten den Königötitel annahm.
Auch das geschah. Nachdem Jan Matthys in einem Ausfall gegen
das Belagerungsheer des Bischofs gefallen, setzte sich Jan Bockelson
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610 Xxv. §. 9. Deutschlands Elend, Schmach und Knechtschaft.
zelner Reichsstände für die Gewährung etlicher leerer Formalitäten
bewilligte. Der Kaiser konnte also weder über Geld noch über die
Soldaten des Reichs verfügen. Jeder Landesherr, und wäre es auch
ein noch so kleiner Abt oder Graf gewesen, mußte erst um seine
Zustimmung gefragt werden, wenn er auch nur einen einzelnen Sol-
daten oder ein paar Gulden für Reichszwecke hergeben sollte. Solche
Zustimmung aber erfolgte fast niemals, oder wenn sie erfolgte, so doch
nicht einstimmig und nicht aufrichtig und wirksam. Die deutsche
Reichsarmee, buntscheckig wie eine Narrenjacke, großentheils aus
zusammengelaufenem, nicht im mindesten eingeübtem Gesindel, wohl
gar aus Zuchthäuslern bestehend, unverpflegt, von keinerlei gemein-
samem Interesse beseelt, in sich selbst zerrissen, feindselig, mißtrauisch
wie die Landesherren selber, war schon zum Sprichwort geworden für
Jung und Alt. Mit der Finanzwirthschaft stand es so schlecht,
daß, als endlich einmal etliche tausend Gulden bewilligt waren, um
ein neues Justizgebäude für das Reichskammergericht aufzuführen, nach
vierzehn Jahren erst etliche kleinere Staaten angefangen hatten, etliche
hundert Gulden einzuzahlen. Nicht minder sprichwörtlich war das R e i ch s-
kammergericht zu Wetzlar selber geworden, ein Gericht, welches
alle Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Reichsstanden oder zwi-
schen den Fürsten und ihren Unterthanen entscheiden sollte, und wel-
ches in seinem Schlendrian 63,000 Processe ruhig hatte liegen und
in Vergessenheit begraben^, lassen, überhaupt nur mit solchen Pro-
cessen sich beschäftigte, wo die Parteien sehr drängten und viel Geld
gaben. Und auch dann wurde gewöhnlich das Urtheil erst fertig,
wenn Kläger und Verklagte sammt ihren Erben gestorben waren und
Niemand mehr ein Urtheil haben wollte. Denn Niemand führte
die Aufsicht, und wenn ja einmal durch den Reichstag eine Unter-
suchung angestellt wurde, so schlug man wohl die Hände zusammen
über die Masse von Bestechungen, Unterschleifen, Nichtswürdigkeiten und
Ungerechtigkeiten, aber anders wurde es darum doch nicht. Die grö-
ßeren Fürsten bekümmerten sich überhaupt nicht mehr um das Reichs-
kammergericht, hatten auch zum Theil das Recht, daß ihre Untertha-
nen sich an kein fremdes Gericht mehr wenden durften. Wer sich
selbst mächtig genug fühlte, that längst, als ob kein deutsches Reich
mehr eristirte. Der Reichstag endlich, der seit 1663 Jahr aus,
Jahr ein in Regensburg versammelt war, hatte nichts zu thun. Was
die größeren Fürsten unter einander zu verhandeln hatten, daö mach-
ten sie persönlich oder schriftlich ab, ihre Gesandten in Regensburg
erfuhren von wichtigen Dingen nichts mehr. Um nun doch sich ir-
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Xxv. §. 11. Entwicklung neuer Gegensätze.
641
Unruhestifter in den Zeitungen und in den Kammern brachten bald
Alles wieder zur Ruhe. Aber nur äußerlich. Im Innern der Ge-
müther dauerte die Gährung fort und sollte nach einem neuen An-
stoß von Frankreich her zu einem furchtbaren Ausbruch führen. Dort
hatte sich der König Louis Philipp durch schlaue Benutzung der
Umstände achtzehn Jahre auf dem erschlichenen Thron zu erhalten ge-
wußt, unter unaufhörlichem Ministerwechsel, Aufständen, Barricaden,
Höllenmaschinen, Mordversuchen, unter dem wüthenden Haß der Re-
publikaner und Communisten, welche ganz Frankreich mit einem Retz
von geheimen Gesellschaften und Verschwörungen bedeckten, unter dem
geheimen Groll der Legitimisten, welche das Haus Bourbon, und der
Bonapartisten, welche den jungen Louis Napoleon auf den Thron
wünschten. Louis Philipp glaubte sich hinlänglich gedeckt, wenn
er die Wohlhabenheit der Mittelclassen (besonders zu Paris) zu för-
dern suchte. Er schien kein höheres Menschenglück zu kennen, als
den Reichthum, und soll sich selbst an Handelsunternehmungen be-
theiligt haben. Eine furchtbare Sittenlostgkeit war unter seiner Re-
gierung in ganz Frankreich, besonders unter den höheren Ständen
offenbar geworden. Die gemeinsten Verbrechen, als Mord und Dieb-
stahl wurden von den höchstgestellten Personen, von Herzögen und
Grafen verübt. Jedermann sah oder ahnte, daß ein Wechsel, ein Um-
schwung erfolgen müsse. Der Herr Gott hatte es dem Könige selbst
durch den plötzlichen Tod seines Sohnes und Nachfolgers in's Herz
gedonnert (1842). Endlich erging auch über ihn das Gericht, und
eine neue Revolution zu den unzähligen anderen Revolutionen schuf
Frankreich abermals zu einer Republik um (1848). Es war das
das Werk einer über den ganzen Westen und Süden Europa's ver-
breiteten republikanischen Partei, welche unter dem Namen junges
Italien, junges Frankreich, junges Deutschland, junges Polen, junges
Europa die tollsten Hitzköpfe und haltlosesten Vagabunden und ver-
kommensten Bösewichter in ihren Reihen vereinigt und 1846 und 1847
schon in Posen , Krakau und Galizien, in der Schweiz, in Rom und
dem übrigen Italien ihre empörerischen Unternehmungen begonnen
hatte. In Frankreich fand sie trefflich bereiteten Boden. In einem
Umsehen, ohne viel Vorbereitung, in wenig Stunden war das hohle
und wurzellose Julikönigthum umgestürzt und eine provisorische Re-
gierung eingesetzt. Jndeutschland war Baden, zwischen Schweiz
und Frankreich eingeklemmt, der trefflichste Stützpunkt. Dort konnte
ohne Weiteres die Republik proclamirt werden. In Wien, in Berlin
war trefflich vorgearbeitet. Ehe man sich's versah, war die Regie-
v. Rohden, Leitfaden. 41
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Extrahierte Personennamen: Louis_Philipp Philipp Louis_Napoleon Napoleon Louis_Philipp Philipp Gott
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Frankreich Paris Frankreich Frankreich Italien Frankreich Deutschland Europa Posen Krakau Galizien Schweiz Rom Italien Frankreich Frankreich Wien Berlin
Xxv. §. 12. Die Kämpfe der Gegenwart. 653
im Trüben zu fischen und den befreundeten Nationen eben so oft einen
Streich zu spielen, als den feindlichen. Noch hält sich der alte edle
angelsächsische Bruderstamm in England, und ihn begrüßen wir noch
heute freudig als unser Fleisch und Bein, und reichen ihm die Hand
zum gemeinsamen Dienst am Werk des Herrn. Aber die große Masse
ist mehr und mehr hingegeben den „materiellen Interessen"; und Han-
del und Industrie sind die beiden morschen Säulen, auf welche das
englische Reich sich allein jetzt noch gründen zu wollen scheint.
Und leider nicht bloß England, sondern auch alle Reiche des
Festlandes, absonderlich des Mittlern Europa, und leider auch unser
Vaterland.
Seitdem im Jahre 1848 die Goldminen Californiens und
bald hernach die Goldfelder Australiens entdeckt sind, hat der schon
früher weit verbreitete Trieb, reich werden zu wollen, sich in einen förm-
lichen Golddurst verwandelt. Mit rasender Hast überbietet man sich
in mechanischen Unternehmungen, Aufrichtung von Fabriken, Eisen-
bahnbauten, Bohrversuchen, Ausbeutung des Erdbodens. Jeder will
reich werden, ohne Mühe. Man speculirt, man kauft Actien, man be-
theiligt sich an Banken und gewinnversprechenden Unternehmungen
aller Art, man schwindelt sich einander das Geld ab; armselige Hun-
gerleider sind morgen Millionäre, und wohlstehende Familien liegen
morgen unter den Bettlern. So erwächst ein riesengroßes Ungethüm
neben den reichgewordenen, in allen fleischlichen Genüssen schwelgenden
Capitalisten: der Pauperismus, das Proletariat. Nicht mehr
eine Anzahl Arme unter vielen Begüterten, sondern Heere und Hor-
den von Armen (dername Arme ist viel zu gut), von Nichtsbesitzen-
. den in allen Städten, bald auch auf allen Dörfern, Nichtsbesitzenden,
die mit Grimm und Hohn auf die Besitzenden sehen, die ohne Mittel,
zu einer freudigern Existenz sich emporzuarbeiten, sich den gemeinsten
Lüsten ergeben, um ihr täglich mit ihnen erwachendes Elend wenigstens
im augenblicklichen Sinnentaumel zu vergessen. Wohl werden von
christlicher Liebe unzählige Versuche gemacht, um diesem erschreckenden,
mit Riesenschritten um sich greifenden Elend Damm und Riegel zu
setzen, aber noch ist das Zauberwort nicht gefunden, welches hier Hülfe
bringen kann, und wird auch nicht gefunden werden. Denn es giebt
nur eins: Buße, Buße und Glaube an das Evangelium. Gerade
aber das wollen sie nicht, weder die Reichen noch die Armen, sondern
im Genuß und in der Gier, und in den Fleischeswegen und im Mam-
monsdienst dahingehen bis an's Ende. So wird sich denn an ihnen
wie an uns das Geschick erfüllen, und die Gerichte Gottes werden
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Extrahierte Personennamen: Grimm
Extrahierte Ortsnamen: England England Europa Californiens Gottes
Xxv. §. 13. Nordamerikanische Zustände. 661
einer traurigen Rohheit und Rand- und Bandlosigkeit unter. „Die
da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke" — das
hat der Amerikaner in sattsamer Weise bewiesen. Welch ein Lug-und
Trugsystem dort in der Kaufmannswelt, welch eine kolossale Schwin-
delei dort in allen Elasten der bürgerlichen Gesellschaft herrscht, da-
von sind die immerwiederkehrenden großen Handelskrisen, davon ist
der schmähliche Ausbruch eines allgemeinen Bankrotts am Ende des
Jahres 1857 ein hinlänglicher Beleg. Was in monarchischen Staaten
solchem betrügerischen Unwesen doch noch hier und da einige Grenzen
setzt, die Furcht vor obrigkeitlicher Strafe, das fällt in Nordamerika
gänzlich weg. Der dortige Republikaner sieht ja in der Obrigkeit
nichts alö seines Gleichen; er weiß Mittel genug, das Schwert der
Gerechtigkeit, wo es auf ihn herabfahren wollte, unschädlich zu machen,
und kennt keine Autorität über sich. Was man von der Bestechlichkeit
der Beamten und Richter, von der Stellenjägerei, von den Gemein-
heiten und Scandalen bei den gesetzmäßig alle vier Jahre wieder-
kehrenden Wahlen, von den Prügelscenen und Mord und Todtschlag
mitten in der Versammlung der höchsten gesetzgebenden Behörden aus
Nordamerika hört, klingt unseren deutschen Ohren fast wie Fabel.
Einer ihrer eignen Propheten sagt davon: „Was von New-Pork gilt,
das gilt von dem ganzen Lande. Reich werden ohne zu arbeiten,
das ist jetzt das große Ziel der Masse. Schöne Häuser, schöne Equi-
pagen, schöne Kleider, das sind die Triebfedern des socialen Lebens.
Für Millionen Maaren umzusetzen und Papiere zu kaufen, Patente
und Eisenbahnen auszubeuten, das ist das Hauptgeschäft von Hundert-
tausenden. Das Handwerk ruht ganz in den Händen der Einwan-
derer; diese machen unsere Ziegel, bauen und decoriren unsere Häuser,
während Jung-Amerika sich mit tollen, oft nur zu gesetzwidrigen
Dingen befaßt. Revolvers werden offen getragen und werden ohne
Scrupel angewendet. Diebe und Räuber tummeln sich in unseren
Vergnügungsorten herum. Schon kann man des Nachts nicht mehr
ohne Angst aus seinem Hause gehen und die scheußlichsten Mordthaten
spotten der Arme der Gerechtigkeit. Unsere Gefängnisse sind zu enge
geworden und von der Lynchjustiz allein ist, wie es scheint, Ret-
tung zu hoffen. Unsere Gesetze sind Spinngewebe, Geld macht Alleö,
besticht die Richter, wirbt selbst die Polizei als Helfershelfer an. Un-
terschleife und Fälschungen selbst in Staatsämtern sind an der Tages-
ordnung. Die öffentlichen Cassen müssen stark bewacht werden, und
ungestraft bricht der Dieb des Nachts in die Privathäuser. Unsere
gelehrten und wohlthätigen Institute selbst dienen schmutzigen Privat-
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32
Iv. §. 2. Sündliches Verderben der Cananiter.
Miffethat: Hoffart und Alles vollauf, und guter Friede; aber dem
Armen und Dürftigen halfen sie nicht, sondern waren stolz und tha-
ten Greuel vor mir. Und dabei hatten sie ihres Wesens kein Hehl,
sondern rühmten ihre Sünde und verbargen sie nicht (Jes. 3, 9).
Welch eine unglaubliche Frechheit und Schamlosigkeit, daß die ganze
Stadt Sodom, Jung und Alt, das ganze Volk aus allen Enden vor
Lot's Haus kam, und forderten die zwei schönen Fremdlinge von
ihm, um ihre hündische Unzucht mit ihnen zu treiben. Und selbst
die Besten unter ihnen, Lot's Eidame, da er ihnen das nahende
Verderben ankündigte, hatten keine Spur von Gewissensschrecken, son-
dern cs war ihnen lächerlich.
Schon hatte der Herr sie durch ein kurz vorhergehendes Gericht
warnen lassen, da Kedorlaomer mit seinem Heere hereinbrach
und schlug den König von Sodom sammt seinen Genossen und allem
Volk, und nahmen alle Speise und alle Habe und zogen davon.
Hätte man nicht denken sollen, sie würden sich's haben zur Warnung
dienen lassen? Aber als der Herr kam und Nachsuchung hielt, fand
er keine zehn Gerechte, ja ikicht Einen in der Stadt, außer Lot. Da
kehrete er die Stätte um und machte daraus ein ewiges Denkmal sei-
ner Gerechtigkeit, die sich nicht spotten läßt. Dieselbe Gesinnung, die-
selbe viehische Gemeinheit wie in Sodom, dieselben Greuel eines un-
züchtigen Götzendienstes (1 Kön. 21, 26) hatten sich seitdem unter
sämmtlichen Cananitern bis zur höchsten Verruchtheit gesteigert,
da kam Jsrael's Racheschwert über sie und raffte sie alle dahin.
Bei den hamitischen Cananitern finden wir dieselben Charakter-
züge wieder wie bei den hamitischen Aegyptern. Freche Hoffart und
Grausamkeit*) und schamlose Unzucht. Was wird uns doch alles er-
zählt schon von Esau's cananitischen Weibern, die der Rebecca so
viel Herzeleid machen, daß sie nicht mehr leben mag; von der Schän-
dung der Dina in Sichem, von der greulichen Unfläthigkeit der canani-
tischen Männer und Weiber in 1 Mos. 38. Aus ihren Sitten kann
man auf ihre Religion schließen. Ihr Götzendienst ruhte auf denselben
Grundlagen, wie der ägyptische und findet sich durch das ganze vor-
dere Asien in den mannigfachsten Formen, aber in der Hauptsache im-
mer übereinstimmend wieder. Es waren die zeugenden und empfan-
genden, die lebenschaffenden und verderbenden Kräfte der Natur, die
sie als männliche und weibliche Gottheiten verehrten. Statt des ägyp-
tischen Osiris trat in Asien der Baal hervor, der zeugende Sonnen-
gott, und statt der Isis die Aschera, die empfangende Erdgöttin.
*) Man denke an Adoni Bezek's 70 Könige mit verhauenem Daumen unter
seinem Tische (Nicht. 1, 7).
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Extrahierte Ortsnamen: Sodom Sodom Sodom Sichem Asien
Xi. §. l. Alerander's Aufgabe.
139
Xi. Aufrichtung und Zerspaltung des griechischen Welt-
reichs. Mischung der orientalischen und der griechischen
Welt. '
Motto: Ein Sauerteig wird unter das Mebl gemengt —
ein neuer Wein wird in die Schläuche gefüllt.
8. I. Alerander's Aufgabe.
Jetzt war die Zeit gekommen, wo das Gesicht, welches Daniel
200 Jahre zuvor gesehen hatte von dem Ziegenbock mit dem großen
Horn, der von Westen herkam und den gewaltigen Widder, nämlich
den König von Medien und Persien, zerstieß und zerstampfte (Dan. 8),
in Erfüllung gehen sollte. Die Stunde war gekommen, wo der
Herr Abrechnung hielt mit der gesummten orientalischen Weltmacht,
und wo es auch bei dem Perserreich hieß wie einst bei dem unterge-
henden Babylon: gezahlt, gewogen und zu leicht befunden. Als
Schirm und umschließende Behausung des zersprengten und nur in
einem elenden Rest noch im gelobten Lande selbständig erscheinenden
Gotteövolks hatte sich das Perserreich freilich bewährt, und in dieser
Beziehung seine Aufgabe erfüllt. Aber die andere Aufgabe, näm-
lich zu erkennen den großen König, der in seiner Mitte Platz ge-
nommen und mit seinen Knechten auch sein Gesetz und seine Ver-
heißungen unter den 127 Völkern Persiens ausgestreut hatte, ihm
die Ehre zu geben, zu merken auf seine Wunderwege und seine ge-
heimnißvollen Rathschlüsse, zu horchen auf die reinen und heiligen
Gebote des mosaischen Sittengesetzes und die eignen verderbten Sitten
im Lichte göttlicher Offenbarung als sündlich und schändlich zu er-
kennen, die Gemüther hinzulenken aus die großen Aufgaben des
menschlichen Geistes und sie mit Sehnsucht zu erfüllen nach einer
Wendung der Dinge, da der Geist aus der Sklaverei der Sinnen-
lust und der Lüge und Eitelkeit Errettung finde — das Alles war
dem weichlichen, lüsternen, knechtischen, trägen Sinn des Orientalen
kaum als Ausgabe zum Bewußtsein gekommen, geschweige denn er-
füllt. Da ward das Volk herbeigerufen, welches Gott der Herr
nicht bloß mit den reichsten Naturanlagen ausgestattet, sondern auch
zur Darstellung des Schönsten und Besten geführt hatte, was der
Menschengeist, der noch nicht unter die unmittelbare und offenbare
göttliche Leitung und Einwirkung gestellt ist, zu leisten vermag. Die
höchste Erhebung des natürlichen Menschengeistes war in den vorhin
genannten griechischen Philosophen zu Tage getreten, und der Schü-
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit]]
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136
X. §.11. Hervortreten Makedoniens.
nicht beeinträchtigt oder angegriffen wissen; er sollte Raum behalten
zu allen den wohlthätigen Unternehmungen, die man von ihm zu er-
warten habe. Nicht minder trat, durch persönliche Gunstbezeugungen
gewonnen, der große Redner Aeschines zur Partei des Philipp
über. Alle diese Leute und ihre Anhänger hatte Philipp durch
sein einschmeichelndes Betragen und seine heuchlerische Zunge vollstän-
dig geblendet, und sie halfen dann wieder alles Volk in Schlaf lullen,
und riefen Friede, Friede, wo doch nur durch Aufbietung aller Kräfte
der Fortbestand der griechischen Freiheit noch aufrecht zu halten und
zu sichern war.
Zwar auch dies Mal blieb Athen und ganz Griechenland nicht un-
gewarnt. Dein großen Hänfen der von Philipp besoldeten Volks,
redner gegenüber war der größte Meister der Redekunst anfgetreten,
Demosthenes, der mit klarem Blick die Lage der Dinge übersah,
mit unwiderleglicher Wahrheit sie dem Volke vorlegte und die Unter-
jochung Griechenlands als ganz gewiß und unausbleiblich verkündigte,
wenn man sich nicht aufraffe ans der dumpfen Trägheit und schwel-
gerischen Sicherheit, und ihm entgegcntrete, so lange es noch Zeit sei.
Aber wie Jeremias von den Inden, so wurde Demosthenes von
den Griechen verspottet, und Jedermann versicherte noch mit den
Freunden und Werkzeugen des Philippus: „es ist Friede und hat
keine Gefahr," während das Verderben ihnen schon im Nacken saß.
Dreinnddreißig griechische Pflanzstädte an der macedonischen Küste
unterwarf und zerstörte Philipp, ohne daß die Mutterstädte sich
ernstlich darum bekümmerten; Thessalien eroberte er, ohne daß ein
griechischer Staat es ihm gewehrt hätte; die Eingangspforte nach Grie-
chenland, die Thermopylen, besetzte er, ohne daß die griechischen Ge-
sandten, die wegen Friedensunterhandlungen bei ihm waren, ihn darin
gestört hätten; die tcmpelränberischen Phocier, die zehn Jahre lang die
reichen Tempelschätze zu Delphi geplündert und mit dem Raub große
Söldnerheere unterhalten hatten, um alle Nachbarstaaten zu plündern,
überwand und strafte und zerstreute er, ohne daß Jemand es für nöthig
fand, andere unschuldige Staaten gegen eine gleiche Behandlung des
Königs zu schützen. Er setzte sich in Lokri fest, er legte seine Be-
satzungen hier und da in griechische Städte hinein und Niemand wehrte
es ihm. Endlich als Demosthenes es mit den unwiderleglichsten
Beweisen darthat, daß des Königs Absicht auf nichts Geringeres als
auf die allmälige llnterjochnng aller griechischen Staaten gerichtet
sei, entschloß man sich noch einmal zum Kriege. Sechs oder sieben
am nächsten von den macedonischen Heeren bedrohte Städte schlossen
ein Bündniß, und wagten den Entscheidungskampf bei Chäronea in
Böotien 338. Aber die Phalanx des Macedonierkönigs trug den
Sieg davon. Mit der einst so hoch gepriesenen griechischen Freiheit
war es auf immer vorbei. Philipp erklärte sich selber mit Zustim-
mung sämmtlichcr eingeschüchterten Griechen zum Oberfeldherrn deö
gesammten Griechenlands mit unbeschränkter Gewalt, unter der feier-
lichen Zusage, alsobald mit ihnen den Feldzug gegen Persien zu eröff-
nen. Der Hinweis auf neue kriegerische Ehren und große Beute war
TM Hauptwörter (50): [T14: [Athen Stadt Athener Sparta Spartaner Griechenland Krieg Perser Flotte König], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Philipp
über Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Philipp Chäronea Philipp
408 Xxi. §. 8. Die Zeiten des vierten Kreuzzuges.
mas Decket sich so schwere Demüthigung durch den Papst gefallen
lassen mußte. So wie man die beiden Führer der Kreuzheere ansieht,
muß man sich sagen, daß die vermeintlich heilige Sache in sehr un-
heiligen Händen sei. Was irgend Erhebendes, Ansprechendes, Wohl-
thuendes bei den älteren Kreuzfahrern war, absonderlich zuletzt noch
beim Kaiser Friedrich, eine ungeheuchelte, tiefe Herzensfrömmigkeit,
ein heiliger Ernst, dem Herrn zu dienen, eine willige Hingebung und
Selbstverleugnung um der großen Sache willen, davon findet man
bei diesen Königen keine Spur. Kühle Berechnung trieb den
Einen, waghalsige Abenteuersucht, glühender Ehrgeiz den Andern
nach den Küsten des gelobten Landes. Aber sie kamen auch nicht
über die Küste hinaus und Jerusalem hat keiner von ihnen gesehen.
Noch ehe sie den Fuß in's Land gesetzt, waren sie in die bittersten
Streitigkeiten verwickelt. Was der Eine unternahm, das suchte der
Andere aus Eifersucht zu stören. Kaum daß ihnen nach langwieriger
Belagerung die Eroberung einer einzigen Festung, Akkon, gelang. Ehe
irgend etwas Größeres erreicht war, kehrte Philipp August nach
Frankreich zurück, mit grimmigem Haß gegen seinen Streitgenossen im
Herzen und entschlossen, ihn und alle Könige Englands lebenslang zu
befehden. Der leidenschaftliche, haltungslose, politisch und militärisch
durchaus untüchtige Richard aber blieb zwar noch etwa zwei Jahre
in Palästina, erregte Bewunderung und Schrecken durch mehrfache
Proben seines blinden Muthes und seiner riesigen Körperkraft. Aber
ohne das Geringste gewonnen zu haben, mußte auch er endlich von
dannen ziehen und den jämmerlichen Rest christlicher Besitzungen an
der Küste deö nördlichen Syrien (von Tyrus bis nach Antiochien)
sich selber überlassen. Dieser klägliche Ausgang der beiden letzten
vermeintlich so gottgefälligen Unternehmungen kühlte die Begeisterung
der Christen für die Kreuzzüge nach Jerusalem vollständig ab. Nie-
mand hat es später noch wieder ernstlich unternommen, Jerusalem
mit den Waffen in der Hand den Saracene» zu entreißen. Und
doch, wie leicht, wie nahe schien eben jetzt die Möglichkeit des Ge-
lingens. Noch war Richard nicht wieder in seine Heimath zurück-
gekehrt (seine Feinde hatten ihn auf der Heimreise ausgegriffen und
hielten ihn gefangen), als schon der tblc und hcldenmüthige Sala-
din unter der Erde lag und seine Söhne und Nachfolger einen blu-
tigen Bürgerkrieg über seinem Grabe begannen. Grade so lange
hatte der Herr diesen tapfern und gottesfürchtigen Saracenen den
Christen zur Beschämung und zur Abwehr entgegengeftellt, als die Ge-
fahr von Seiten der Kreuzheere dauerte. Kaum war sie mit Rich ard's
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich Ernst Philipp Philipp August Richard
410 Xxi. §. 9. Innocenz Hi. ober die vollste Entfaltung rc.
rufe ergehen lassen zur Fortsetzung des heiligen Krieges, da waren
wenig Ohren, die aufinerkten. Wie der mächtige Kaiser, der den Papst
vollständig in seiner Gewalt hatte, sich nicht mehr um seinen Bann-
fluch kümmerte, so fanden sich bald viele Herren und Fürsten, die es
ihrem Kaiser gleich thun wollten und eine ähnliche Gleichgültigkeit
gegen die kirchlichen Befehle zur Schau trugen. Als aber der Kaiser
so plötzlich in seiner Jugendblüthe dahingerafft ward, da schlugen Viele
in sich und sahen in dem frühen Tod die Strafe Gottes für die Ver-
achtung des Papstes. Andere aber erkannten darin die göttliche Ver-
geltung für die schrecklichen Frevel und unmenschlichen Grausamkeiten,
womit Heinrich die Aufstandsversuche der Normannen in Unter-Ita-
lien niedergeschlagen hatte. Es schien, als wollte er die neugewonnene
Krone mit Blut aus seinem Haupte festkitten. Aber sie ist ihm schnell
wieder abgerissen. Er ineinte, das verrottete Normannenvolk könne
nur mit eiserner Strenge regiert werden. Und er hatte Recht. Die
einst so kräftigen und kühnen Normannen waren in dem weichlichen
Genußleben des südlichen Italiens und Siciliens ein niederträchtiges,
verderbtes, lügnerisches und abgefeimtes Geschlecht geworden, voll
Ränke und Kniffe, treulos und undankbar. Aber solche Unmenschlich-
keiten wie Heinrich an ihnen verübte, werden niemals ungestraft
begangen. Die Sünden der Väter sucht Gott heim an Kind und
Kindeskind. Mit welch vorahnender Sorge mußte man das Kind
Heinrich's betrachten, das an eben dem Tage geboren ward, als
ganz Palermo von dem Blute der enthaupteten, verstümmelten, ge-
spießten , .gepfählten sicilianischen Großen erfüllt ward. Das Kind
war kein anderes als der nachmalige Kaiser Friedrich Ii. und wir
begreifen seinen und seines Hauses jammervollen Untergang erst ganz,
wenn wir die grausen Gewaltthaten des stolzen Heinrich im Gedächtniß
behalten.
§. 9. Innocenz Hi. oder die vollste Entfaltung der päpst-
lichen Theokratie.
Auf wunderbaren Wegen führte der Herr seine Christenheit. So
sehr auch die päpstliche Allgewalt dem Sinn und dem Wort des
göttlichen Herrn und Meisters zuwiderlief, so sehr die Unzulässigkeit
und der Druck solcher geistlich-weltlichen Alleinherrschaft aller Orten
empfunden und mit Gewalt und List, von Fürsten und vom freiheit-
durstigen Volke, von Geistlichen und von Laien unablässig bekämpft
wurde, so stieg doch die Macht der Päpste von Stufe zu Stufe im-
mer höher, strebte nach jedem augenblicklichen Unterliegen desto kühner
empor, überdauerte alle ihre mächtigen und entschlossenen Gegner und
kam nicht eher zum Stillstand, als bis sich der Gedanke Gre-
gor'ö Vh. in vollkommenster Weise verwirklicht hatte: nämlich die
gesammte Christenheit aller Länder und Völker im demüthigen Ge-
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Extrahierte Personennamen: Innocenz_Hi Innocenz Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Friedrich_Ii Friedrich Heinrich Heinrich Innocenz_Hi Innocenz